Jetzt mehr bewegen: Modernisierung und Ausbau des ÖPNV

Immer mehr Menschen sind vor der Corona-Pandemie auf Bus und Bahn umgestiegen: rund 10 Mrd. Fahrgäste waren 2018 mit Bussen und Bahnen im ÖPNV unterwegs. Die Corona-Pandemie, Energiekrise und die stark steigende Inflation haben die Fahrgastahlen in den letzten Jahren deutlich nach unten gedrückt. Durch das 9-Euro-Ticket und das Deutschland-Ticket konnten allerdings zahlreiche Fahrgäste zurück und neu hinzu gewonnen werden. Damit an diese positive Entwicklung weiter angeknüpft werden kann, muss die vorhandene Infrastruktur modernisiert, ausgebaut und barrierefrei gestaltet werden. Es braucht eine bessere Verknüpfung der verschiedenen Mobilitätsangebote, neue Konzepte für die Mobilität im ländlichen Raum und nicht zuletzt eine schnelle Planung und Umsetzung sowie gut ausgebildetes Personal.

ÖPNV-Kapazitäten massiv erhöhen

In den nächsten Jahren muss massiv in eine Erhöhung der ÖPNV-Kapazitäten investiert werden. Nur so lassen sich das notwendige Fahrgastwachstum und die Klimaschutzziele realisieren. Dazu muss vor allem im Busverkehr viel getan werden. Während den meisten Straßenbahn-, Stadtbahn- und U-Bahn-Projekten längere Planungs- und Genehmigungsprozesse vorangehen, können Kapazitätserweiterungen und zusätzliche Angebote im Busverkehr schnell zu einem attraktiveren und leistungsfähigeren ÖPNV beitragen.

Zukünftige Investitionsbedarfe für eine nachhaltige Infrastruktur

Ein Konsortium aus Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und ADAC hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) beauftragt den Umfang, Zustand und Investitionsbedarfe des Verkehrsnetzes (mit Schwerpunkt auf kommunale Netze) vertieft zu eruieren.

Neben der seit Jahrzehnte erstmalig detailliert vorgenommen Erfassung der Länge des kommunalen Straßennetzes, wurden auch die anderen Verkehrsnetze, und hier insbesondere die kommunalen ÖPNV-Netze, erfasst. Darüber hinaus wurden in der Studie der bauliche Zustand dieser Verkehrsinfrastrukturen erhoben und deren Nachhol- und Ersatzbedarfe sowie die zukünftigen Investitionsbedarfe für den Erhalt der vorhandenen Infrastrukturausstattung abgeschätzt. Zusätzlich wurde, im Sinne einer Verkehrswende, der bis 2030 zu erwartende Umbaubedarf auf Basis vorliegender Schätzungen und Projektionen qualitativ abgeleitet.

Difu-Studie „Nachholende und zukünftige Investitionsbedarfe für ein nachhaltiges Verkehrssystem“

Daten zur Verkehrsinfrastruktur
Für die Erfassung des Netzumfangs der Verkehrsinfrastruktur-Netze erfolgte eine umfangreiche Auswertung der ATKIS-Datenbank und der Open Street Map. Für einige spezielle Teile der Verkehrsinfrastruktur wie die U-Bahn-Netze wurden weitere Datenbanken ausgewertet oder eigene Erhebungen durchgeführt. Die Datenauswertung ergaben einen Umfang für die kommunalen Straßen von knapp 714.000 km. Die Länge der Straßenbrücken in kommunaler Baulast beträgt rund 3.600 km und die der Straßentunnel knapp 1.400 km.
Für die U-Bahn- und Straßenbahn-Netze konnte nur die Länge der Gleise, nicht der Strecken (mit teilweise mehrgleisigen Abschnitten) aus den Datenbanken erfasst werden. Die Länge der U-Bahn-Gleise beträgt rund 900 km und die der Straßenbahnen 6.320 km, davon 451 km Gleise unterirdisch.

Zustand des ÖPNV-Netzes
Etwa ein Drittel ist bei fast allen Verkehrsträgern in mindestens gutem Zustand. Die U-Bahn-Strecken weisen etwas bessere Werte auf mit gut der Hälfte in gutem und sehr gutem Zustand. Oberirdische Straßenbahnstrecken haben den größten Streckenanteil in schlechtem und ungenügendem Zustand mit 22%.

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Bei der kommunalen ÖPNV-Infrastruktur beläuft sich der Nachhol- und Ersatzbedarf auf 64 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030.

Der größte Teil der voraussichtlich erforderlichen Investitionen entfällt dabei auf U-Bahn- sowie Stadt-/Straßenbahnstrecken in Tunnellage. Ausschlaggebend sind dabei vor allem die besonders hohen spezifischen Baukosten, die für den Ersatz oder zumindest eine grundhafte Sanierung beispielsweise eines U-Bahn-Tunnels anfallen würden. Ebenfalls von besonderer Bedeutung sind Investitionen bei Straßen- und Stadtbahnstrecken (einschließlich Strecken mit besonderem Bahnkörper) sowie bei den Bus-/Straßen-/Stadtbahnhaltestellen.

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Für den Ausbau der kommunalen ÖPNV-Infrastruktur bis 2030 ergibt sich zusätzlich insgesamt ein Investitionsbedarf von etwa 4,5 Milliarden Euro.

Eine Erweiterung der ÖPNV-Infrastruktur führt im Zeitraum bis 2030 vor allem für U-Bahn- sowie Stadt-/Straßenbahnstrecken in Tunnellage zu größeren Investitionsbedarfen. Aber auch die in wachsenden Städten zusätzlich benötigten straßenbündigen Straßen-/Stadtbahnstrecken erfordern entsprechende Investitionen.

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Daher ist eine jährliche Anhebung der GVFG-Mittel für den Ausbau und die Modernisierung der kommunalen ÖPNV-Netze auf mindestens 3 Milliarden Euro ab 2025 erforderlich.

Für Investitionen in die ÖPNV-Netze gibt es ein gut funktionierendes Bundesprogramm, das sog. Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). Damit finanziert der Bund eine Reihe von ÖPNV-Ausbau und Modernisierungsmaßnahmen in den Kommunen. Gegenwärtig belaufen sich die jährlichen GVFG-Mittel auf 1 Milliarde Euro und werden ab 2025 auf 2 Milliarden Euro erhöht. Diese Mittel werden von der Branche vollständig zur Umsetzung der entsprechenden Vorhaben genutzt:
Im Jahr 2022 wurden erstmals nahezu die gesamten 1 Milliarde Euro der GVFG-Mittel abgerufen (902 Millionen Euro). Zusätzlich hat sich die Anzahl der Projekte im Rahmen des GVFG-Bundesprogramms in den letzten drei Jahren vervierfacht. Dieser Anstieg ist nicht nur auf eine Zunahme von größeren Projekten zurückzuführen, sondern auch darauf, dass insgesamt eine bedeutend größere Anzahl von Vorhaben angemeldet wurde. Anhand der bereits angemeldeten und geplanten Projekte wird deutlich, dass die voraussichtlich ab 2025 zur Verfügung stehenden 2 Milliarden Euro jährlich möglicherweise nicht mehr ausreichen werden. Infolgedessen wird das GVFG-Programm zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich überzeichnet sein.

Oliver Wolff, VDV-Hauptgeschäftsführer:

„Die vorliegenden Studienergebnisse zeigen ein alarmierendes Bild des Zustands der kommunalen Verkehrsinfrastruktur. Wir haben als VDV immer betont, dass der angestrebte Fahrgastzuwachs und die Verlagerung auf den ÖPNV vor allem dann nachhaltig funktioniert, wenn das Angebot für die Menschen attraktiv genug ist. Dazu gehört neben dem nötigen Ausbau des Angebots vor allem eine gute und leistungsfähige Infrastruktur. Für Investitionen in die ÖPNV-Netze gibt es ein gut funktionierendes Bundesprogramm, das sog. Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), bei dem wir gerade einen massiven Hochlauf an angemeldeten Projekten sehen. Die jährlichen GVFG-Fördermittel werden daher ab 2025 nicht mehr ausreichen, so dass wir hier eine Erhöhung von 2 auf zunächst 3 Milliarden Euro jährlich für geboten halten.“

Das Jahrzehnt des Busses

Die im Auftrag des VDV erarbeitete Studie „Das Jahrzehnt des Busses“ (2021) kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2030 etwa 1,8 Milliarden Euro zusätzlich in den Ausbau eines klimafreundlichen und leistungsstarken Busverkehrs investiert werden müssen. Damit ließen sich 10 Milliarden Personenkilometer vom Autoverkehr auf den ÖPNV verlagern, die Verkehrsleistung der Busverkehre um 26,4 Prozent steigern und die Betriebsleistung sogar um rund 30 Prozent. Zugleich müssen der Ausbau und die Modernisierung der städtischen Schienensysteme weiter mit Hochdruck umgesetzt werden. Denn am Ende ist nur ein leistungsstarkes Gesamtsystem aus Bus und Bahn in der Lage, die deutlichen Fahrgastzuwächse effizient und klimafreundlich zu befördern.

Fahrt aufnehmen mit dem Deutschlandtakt

Die intelligente Verknüpfung des Nah- und Fernverkehrs auf der Schiene mit kurzen Anschluss- und Wartezeiten spielt eine wesentliche Rolle, damit Menschen das System Bahn nutzen. Eine solche übergreifende Vertaktung soll der Deutschlandtakt gewährleisten. Er bietet die Chance auf spürbare Angebotsverbesserungen aus Kundensicht und ist damit ein wichti ger Baustein für die Verdopplung der Fahrgastzahlen im Bahnverkehr. Wichtige Ergänzungen dabei sind eine bessere Verknüpfung mit den Angeboten des öff entlichen Personennahverkehrs und ein elektronisches Ticketing, das einen deutschlandweiten Zugang zu Bussen und Bahnen jenseits aller Länder- und Verbundgrenzen ermöglicht. Dringend erforderlich ist es darüber hinaus, Engpässe im gesamten Eisenbahnnetz zu beseitigen und Knotenpunkte auszubauen. Ferner darf der Deutschlandtakt nicht allein den Personen bahnen dienen. Vielmehr muss das ganzheitliche Konzept des Deutschlandtakts verfolgt werden und auch den Güterbahnen bessere Bedingungen bieten, damit beide ihren Beitrag für einen klimaneutralen Verkehr leisten können.

Deutschlandtakt - Karikatur von Heiko Sakurai

Mobilität als Schlüssel für gleichwertige Lebensverhältnisse

47 Millionen Menschen leben in Deutschland außerhalb von Großstädten und Ballungsräumen. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist im Grundgesetz verankert. Die Entwicklung ländlich geprägter Regionen ist ein wesentliches Ziel. Mobilität spielt dabei eine Schlüsselrolle, zumal der Anteil von Bussen und Bahnen am Gesamtverkehrsaufkommen in der Fläche bei nur rund 5 Prozent liegt. Ziel muss es sein, den Anteil des öffentlichen Verkehrs auf dem Land spürbar zu erhöhen. Der ÖPNV in ländlichen Regionen benötigt hierzu eine abgestimmte und mutige Strategie. Es gilt, mit Unterstützung von Bund und Ländern ein modernes, integriertes Mobilitätsangebot für die Bevölkerung und den Tourismus zu schaffen.

Karikatur von Heiko Sakurei zum Thema Mobilität im ländlichen Raum

Für die Mobilität im ländlichen Raum sollten folgende Schwerpunkte gesetzt werden:

  • der Aufbau eines flächendeckenden Bahn-Bus-Gesamtsystems mindestens im Stundentakt,
  • eine konsequente Fokussierung auf Angebote, Anschlüsse und Qualität,
  • die Erschließung der Klein- und Mittelstädte,
  • mehr flexibler Linienbedarfsverkehr (z. B. on demand),
  • ein einfacher Zugang zum Gesamtsystem (Haltestellen, verständliche Preis- und Leistungsübersichten),
  • mehr Kooperation und Vernetzung aller relevanten Akteure vor Ort und
  • die Reaktivierung ausgewählter Eisenbahnstrecken als sinnvolle Ergänzung.

Modernisierung und Ausbau – Kernforderungen des VDV:

  • ÖPNV-Kapazitäten massiv erhöhen
  • ländliche Räume besser anbinden
  • Planung beschleunigen
  • Auswirkungen des novellierten PBefG evaluieren
  • Neu- und Ausbau der Infrastruktur vorantreiben
  • Fahrt aufnehmen mit dem Deutschlandtakt
  • Schienenstrecken elektrifizieren
  • stillgelegte Schienenstrecken reaktivieren
  • Barrierefreiheit lückenlos durchsetzen 
  • Personal- und Fachkräftebedarf decken

Weitere Studien und VDV-Publikationen