Mit Bahnen und Bussen in die Zukunft  – Input zur EU-Strategie für eine nachhaltige und intelligente Mobilität

Ende 2020 legte die Europäische Kommission eine umfassende Strategie für eine nachhaltige und intelligente Mobilität vor, welche bereits mit dem Europäischen Green Deal (2019) angekündigt worden war und die aktuellen Leitlinien der europäischen Verkehrspolitik darlegt. Während das Verkehrsaufkommen in der EU immer weiter wächst, erfordert der Green Deal bis 2050 eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor um 90 Prozent gegenüber 1990. Der Güter- und Personenverkehr hat eine zentrale Bedeutung für den europäischen Binnenmarkt. Gleichzeitig müssen zukünftig klimaneutrale Städte für die Menschen saubere, sichere und attraktive Lebensräume bieten.

Als Branchenverband brachte sich der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) aktiv in die Diskussion auf EU-Ebene ein, wie der Europäische Verkehrssektor sich angesichts der drei zentralen Herausforderungen weiterentwickeln und fit für die Zukunft werden kann. Folgende Themen haben wir 2020 angesprochen:

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Klimaschutz: Bisherige Ansätze, Treibhausgasemissionen im Verkehr zu reduzieren, zeigten kaum Fortschritte. Die Maßnahmen müssen wirksamer sein und sich sämtlicher der drei möglichen Hebel bedienen: Verkehr vermeiden, Verkehr verlagern, Verkehr verbessern. Ziel muss sein, dass bis 2030 bzw. 2050 signifikant mehr Verkehr als heute auf den Umweltverbund und die Bahn entfällt.

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Corona-Krise: Die COVID-19-Pandemie brachte große Herausforderungen, doch auch Chancen für einen grünen wirtschaftlichen Aufschwung und eine nachhaltigere und saubere Mobilität im Sinne des „Green Deals“. Priorität hat in der nahen Zukunft, das Vertrauen der Fahrgäste in den ÖPNV zurückzugewinnen.

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Digitalisierung: Durch Innovationen wie intelligente Verkehrssteuerung, datenbasierte Prozessoptimierung und digitaler Kundenservice werden ÖPNV und Schienengüterverkehr noch umweltverträglicher und attraktiver. Die digitalen Möglichkeiten sollten außerdem zu nachhaltigerem Nutzer- und Kundenverhalten führen. Dabei bedarf es einer politischen Steuerung, damit Verkehr nicht zunimmt, sondern effizienter wird. Auch mit den Erfahrungen der Corona-Krise steigt der Druck auf eine schnellere Digitalisierung.

1. Klimaschutz: Diesmal muss die Verkehrswende gelingen

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Die Verkehrsverlagerung muss auf sämtlichen politischen Ebenen stattfinden: ganz konkret in den Gemeinden und Kommunen, jedoch unterstützt durch eine förderliche Politik und Finanzierung auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union. Es ist zudem wichtig, das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Umwelt-auswirkungen von Mobilität zu schärfen und auf nachhaltige Alternativen hinzuweisen. Wir möchten weniger Verkehr, aber mehr Mobilität.

Die Kommission sollte sich in ihrer Strategie daher ausdrücklich zu den umweltfreundlichsten Verkehrsträgern bekennen: zum Schienengüterverkehr sowie zum öffentlichen Personenverkehr mit Bussen und Bahnen als Rückgrat der täglichen Mobilität in Europa. Ziel muss sein, dass bis 2030 bzw. 2050 signifikant mehr Verkehr als heute auf den Umweltverbund (ÖPNV, Radverkehr und Fußgänger) sowie die Bahn entfällt.

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„Man muss mit Blick auf die EU sehen: Bisherige Ansätze, Treibhausgasemissionen im Verkehr zu vermindert, zeigten bislang kaum Fortschritte. Die Maßnahmen müssen wirksamer sein und alle drei möglichen Hebel bedienen: Verkehr vermeiden, verlagern, verbessern. Ziel muss sein, dass bis 2030 bzw. 2050 signifikant mehr Verkehr als heute auf den Umweltverbund, also Bahn, Bus, Fahrrad und den Fußverkehr entfällt.“

Oliver Wolff · Hauptgeschäftsführer des VDV

2. Corona-Krise: Herausforderungen meistern und Chancen nutzen

Es ist von großer Bedeutung, dass die kurz- und mittelfristigen Verluste der Eisenbahnen und ÖPNV-Unternehmen aufgefangen werden, damit diese nachhaltigen Verkehrsträger – auch mit Blick auf die angestrebte Verkehrs- und Klimawende – zukünftig leistungsstark bleiben. Denn es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der ÖPNV ausgesprochen margenschwach ist. Die Bundesregierung hat mit ihrem ÖPNV-Rettungsschirm diesbezüglich rasch und sinnvoll gehandelt.

Auch die Europäische Union sollte den ÖPNV und Bahnverkehr in ihrem Paket für den wirtschaftlichen Aufschwung berücksichtigen, nicht zuletzt, da Investitionen in den öffentlichen Personenverkehr die Wirtschaft ankurbeln. Jeder Euro, der für den ÖPNV bereitgestellt wird, entfaltet einen fünffach größeren positiven Effekt auf die lokale Wirtschaft. Sämtliche Maßnahmen, welche die Mitgliedstaaten nun im Rahmen des europäischen Rettungspakets vorschlagen, sollten daher mit den Zielen des „Green Deals“ und der Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität in Einklang stehen.

3. Digitalisierung: Innovationen für nachhaltigeres Nutzer- und Kundenverhalten

Die Europäische Union kann die Digitalisierung im Verkehrssektor fördern und beschleunigen. Dabei kann es nicht nur um Industrieförderung gehen, sondern darum, primär solche Projekte zu fördern, die den Zielen des „Green Deals“ und der Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität dienen.

Beim Verkehrsträger Schiene kann die umfassende Modernisierung der Leit- und Sicherungstechnik einschließlich der Umstellung auf ETCS wesentlich zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahnen beitragen. Sie ermöglicht unter anderem eine bessere Anschlusssicherung, höhere Pünktlichkeit und eine optimierte Netzauslastung. Um dies zu beschleunigen, ist finanzielle Unterstützung nötig – sowohl für die Infrastruktur, als auch für die Ausrüstung der Fahrzeuge. Die flächendeckende ETCS-Ausrüstung erfordert zudem die Bereitstellung ausreichender Datenübertragungskapazitäten. Auf EU-Ebene werden daher künftig neben den heute für GSM-R genutzten Frequenzbereichen zwei weitere Frequenzbereiche dauerhaft für ERTMS-Anwendungen benötigt.

Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) ist aus Sicht des VDV der entscheidende Baustein auf dem Weg zum automatisierten, digitalen Schienengüterverkehr. Als Schlüsseltechnologie sollte ihre Entwicklung vorangetrieben werden, damit spätestens 2030 Güterwagen in ganz Europa automatisch kuppeln. Wesentliche Voraussetzungen dafür sind die Finanzierung, die Festlegung auf einen standardisierten Kupplungstyp, sowie ein europäischer Fahrplan für die Migration der DAK. Mit dem Ziel einer europaweit einheitlichen Umsetzung sollte die Kommission hier ihren prominenten Schwerpunkt setzen.

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Der ÖPNV spielt im Rahmen der Daseinsvorsorge und aufgrund seines großen Umweltvorteils eine wichtige Rolle in diesem System. MaaS sollte kein Selbstzweck sein, sondern dabei helfen, verkehrspolitische Ziele wie z. B. die Verringerung von Staus und die Förderung des Umweltverbundes (ÖPNV, Radfahren, Fußgänger) zu erreichen. Daher muss der ÖPNV-Aufgabenträger eine zentrale und leitende Rolle in einem MaaS-System einnehmen und darüber wachen, dass das System für alle Bürger zugänglich und bezahlbar ist, dass Daten und Dienstleistungen in beide Richtungen und zu fairen Konditionen miteinander ausgetauscht und kombiniert werden, dass die einzelnen Betreiber ihre Auflagen einhalten und sich die verkehrliche Bilanz verbessert.

Gleichermaßen sollten auch Zukunftsprojekte wie Vernetzung (C-ITS) und das autonome Fahren dahingehend entwickelt werden, den strategischen Fokus auf die Erreichung verkehrspolitischer Ziele (Verkehrsverlagerung, -vermeidung und -verbesserung) zu legen. So zeigen viele Szenarien, dass mit Blick auf die Mobilitätsbedürfnisse in Städten autonome Fahrzeuge den größten Vorteil dann entfalten, wenn sie als Flotten aus kollektiv genutzten Stadtfahrzeugen in Verbindung mit einem ausgebauten Hochleistungs-ÖPNV zum Einsatz kommen. Ohne entsprechende Lenkungsinstanzen hingegen würde der (autonome) Pkw-Verkehr zunehmen.
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Nutzer des Nah- und Fernverkehrs sollten zukünftig mit einem elektronischen Ticket bargeldlos europaweit fahren können. Zugleich ist wichtig, dass die Branche bei diesem Prozess selbst Gestalter und Treiber bleibt. So haben erste Erfahrungen gezeigt, dass es sinnvoll ist, die Markenidentität jedes einzelnen Verkehrsunternehmens und -verbundes zu erhalten. Jeder Fahrgast sollte also in Zukunft die App seines Heimatverkehrsunternehmens bzw. -verbundes nutzen können, um durchgängig mit Bus, Bahn und ergänzenden Mobilitätsangeboten fahren zu können.

„Durch Innovationen wie intelligente Verkehrssteuerung, datenbasierte Prozessoptimierung und digitaler Kundenservice werden ÖPNV und Schienengüterverkehr noch umweltverträglicher und attraktiver. Die digitalen Möglichkeiten sollten außerdem zu nachhaltigerem Nutzer- und Kundenverhalten führen. Dabei bedarf es einer politischen Steuerung bereits auf Kommunalebene, damit der Verkehr nicht zunimmt, sondern effizienter wird. Auch mit den Erfahrungen der Corona-Krise steigt der Druck auf eine schnellere Digitalisierung: Es darf uns nie wieder passieren, dass wir den Fahrscheinverkauf aufgeben, weil wir den Vordereinstieg beim Bus sperren müssen. Das muss flächendeckend digital funktionieren.“

Oliver Wolff · VDV-Hauptgeschäftsführer

Mehr Informationen finden Sie in unserem Positionspapier (2020):